Was war das wichtigste, was du in diesem Jahr in Russland gelernt hast?
Das wichtigste, was ich gelernt habe, ist einfach nicht zu lange nachzudenken, sondern einfach zu machen. Jemanden ansprechen oder nachzufragen. Auch wenn das dann schief geht und man sich nicht verstehen kann, es lohnt sich auf die eine oder andere Weise immer. Entweder man lernt ein neues Wort oder man wird selbstsicherer. Man kommt mehr aus sich raus.
Und kannst du dich auch an den schönsten Moment in Russland erinnern?
Es gibt ganz ganz viele schöne Momente, aber einer der mir jetzt direkt einfällt, ist folgender. Als wir mit ein paar Freiwilligen im Sommer am Strand der Wassiljewski-Insel an der U-Bahn-Station Primorskaja in St. Petersburg am Abend saßen und gegrillt haben. Da waren der Gazprom-Tower und Sonnenuntergang im Hintergrund zu sehen. Das war ein sehr schönes Erlebnis.
Hast du noch Kontakt mit Freiwilligen, die mit dir zusammen das Jahr verbracht haben?
Ja, mit einigen habe ich noch Kontakt. Mit Dominik, Svenja, Oli, die auch in meinem Projekt waren und Martin, der in Pavlowsk war.
Warst du viel auf Reisen in diesem Jahr?
Ich war etwas reisen. Ich war insgesamt nicht so viel reisen, wie andere, aber wir waren eine Woche lang in Moskau und Kasan zu dritt. Das war auch sehr spannend. Zwei Wochen lang waren wir im Kaukasus und Sotschi. Und dann waren wir noch ein Wochenende in Moskau. Da sind wir mit dem Nachtzug hingefahren. Das waren so die größten Reisen und sehr schön.
Außerdem möchte ich dir noch ein paar Fragen zum Projekt stellen. Wir war der erste Tag im Projekt? Welche Gefühle hattest du? Kannst du dich erinnern?
Ja, da erinnere ich mich gut. Ich war sehr gespannt und vorsichtig. Man hatte mir schon gesagt, dass es sehr schlimm im Heim sei und da seien viele Menschen, um welche sich nicht gekümmert wird. Dann bin ich da so hin und von außen sah es groß aus und war überwältigend. Aber es sah nicht schlimm aus. Es gab draußen Blumen. Das Haus sah in Ordnung aus und war sauber. Es hat nur schlecht gerochen auf der Station. Am ersten Tag sind wir nur kurz durch die Station gelaufen und da waren ganz viele Menschen, die auf uns zugekommen sind, die uns angefasst haben und etwas gesagt haben, was ich nicht verstanden habe und die komisch aussahen. Ich habe mich wie in einem Tunnel befunden. Das waren alles zu viele Eindrücke für mich. Und ich dachte nur, oh Gott, was sind das alles für Menschen, die komisch aussahen und komisch rochen.
Und wie lange hast du gebraucht, bis du dich wohl gefühlt hast in dem Projekt?
Ich glaube, etwa zwei Monate habe ich gebraucht, um mich gut einzufinden. Schon so nach einem Monat habe ich mich halbwegs gut zurechtgefunden. Nach zwei Monaten, würde ich sagen, habe ich mich dann auch mit meinen Schützlingen vor allen Dingen gut verstanden. Mit den Sanitarkas/Krankenschwestern bin ich nicht wirklich warm geworden. Doch, am Ende dann ein bisschen.
Wir wissen, dass es im Winter besonders schwer für die Freiwilligen ist. Wie hast du dich motiviert weiterhin jeden Tag zum Projekt zu kommen?
Meine Schützlinge waren meine Motivation, auch wenn ich sie am Anfang nicht verstanden habe. Weil ich immer gemerkt habe, dass sie sich freuen, wenn ich da war. Es gab immer eine Art Morgenritual. Immer wenn ich auf die Station kam und meine Schützlinge am Frühstückstisch saßen, kam ein freudiges „Georgiii!!". Und alle haben sich gefreut. Es gab auch manche, die meinten „Idi domoj/Geh nach Hause". Es war immer witzig und es ist immer etwas spannendes passiert auf der Arbeit. Und meine beiden Mitbewohner, Oli und Svenja, mit denen ich immer zusammen zur Arbeit gefahren bin. Sie haben mich auch motiviert, da mit hin zugehen. So war ich dann nicht alleine und zusammen ist es immer leichter. Und Oli hat auch immer lustiges Zeug von der Arbeit erzählt. Das war dann auch immer eine Freude, da was zu machen und zu erleben.
Schön. Hast du noch Kontakt zu deinen Schützlingen oder weißt du, wie es ihnen geht?
Nein, mit ihnen habe ich gar keinen Kontakt. Das Jahr nachdem ich da war, hatte ich noch manchmal Kontakt oder zumindest so ein Bild bekommen, weil ich Jannis kennen gelernt habe, der dann meine Schützlinge übernommen hat. Aber danach hatte ich keinen Kontakt mehr. Sie haben auch gar kein Handy oder irgendwas, womit sie telefonieren könnten.
Wenn du die Möglichkeit hättest, würdest du wieder nach Russland fahren oder nie wieder?
Seitdem ich wieder in Deutschland bin, träume ich davon nach Russland zu fahren. Anfangs hatte ich keine Zeit und dann als ich nach Russland wollte, ist hier Corona ausgebrochen. Also ich will unbedingt wieder hin. Auch nach St. Petersburg und meine Schützlinge besuchen und die Leute, die ich da kenne. Und auch wieder die Stadt anschauen.
Hast du noch etwas mit Perspektivy, Perspektiven e.V. oder dem ICE e.V. zu tun?
Ich arbeite ziemlich eng mit dem ICE e.V. zusammen. Da wurde ich zum Alumnisprecher befördert und bin dem Verein beigetreten. Da helfe ich bei Seminaren. Letzten Sommer habe ich bei den Freiwilligenseminaren mitgeholfen. Und jetzt auch immer wieder bei Orientierungsseminaren erzähle ich von meinem Jahr in Russland. Und ich mache ein bisschen Werbung. Zum Beispiel schreibe ich andere ehemalige Freiwillige an, ob sie vielleicht Lust haben, etwas zu erzählen.
Warum hast du dich dafür entschieden weiterhin mit dem ICE e.V. zusammenzuarbeiten?
Weil ich tief in meinem Herzen immer noch Freiwilliger bin. Mir haben die Seminare beim ICE sehr viel Spaß gemacht und irgendwie habe ich Lust bei solchen Seminaren mit zu machen. Und als Teamer oder Alumni hat man weiterhin diese Möglichkeit.
Danke schön für das Interview.