Ich wollte mit Menschen
mit Behinderungen arbeiten
und das hat mir keine Angst gemacht.

Kannst du mir sagen, wann du freiwillig tätig warst und in welchem Projekt?

Ich war von 2010 bis 2011 in Sankt Petersburg. Und ich habe im PNI (im psychoneurologischen Internat) gearbeitet. Ich hatte überhaupt nicht vor, nach Russland zu gehen. Ich habe mich für Portugal beworben. Dann wurde ich im Bewerbungsgespräch gefragt, ob ich auch nach Russland gehen würde. Ich antwortete so: Ja klar, überallhin. Ich glaube ich wollte vor allem einfach weg und etwas Neues sehen. Und ich habe gar nicht so viel darüber nachgedacht. Ja, und im Nachhinein bin ich echt froh, dass es so gelaufen ist.

Kannst du dich an deinen ersten Tag in Sankt Petersburg erinnern?

Ja. Wir sind ja mit dem Bus gekommen. Dann habe ich mich aufs Sofa gelegt und geschlafen.

Nicht viel also Wie lange hast gebraucht, um richtig anzukommen und dich wohlzufühlen?


Dadurch, dass wir mehrere Deutsche waren und wir uns vorher kannten, ging es relativ schnell. Wir haben uns immer ausgetauscht. Der eine hat das gefunden, der andere das. Und dann hat man sich davon erzählt. Und einfach dadurch, dass man natürlich zur Arbeit gegangen ist. Da hat man schnell viele Leute getroffen.

Hast du vorab Erfahrungen mit Menschen mit Behinderungen sammeln können? Hattest du Angst vor der Arbeit?

Jetzt muss ich versuchen mich zu erinnern. Ich glaube, dass ich das gerne wollte. Ich wollte mit Menschen mit Behinderungen arbeiten und das hat mir keine Angst gemacht.

Und was hast du in diesem Jahr gelernt? Was war die wichtigste Erkenntnis?

Ich glaube eine der wichtigsten Erkenntnisse in diesem Jahr war der Zusammenhalt, auch unter den Freiwilligen. Gerade am Anfang hatten wir so eine heftige Zeit. Es war so schwer anzukommen und reinzukommen. Die Verhältnisse dort, gerade in dem PNI, waren wirklich krass. Da haben wir uns gegenseitig immer sehr viel gestützt und Kraft gegeben. Ich glaube dieses gegenseitige umeinander Kümmern, das habe ich dort gelernt und danach zu fragen, wenn man das braucht. Das hat mich im Nachhinein auch lange getragen, da ich später noch viel Kontakt zu den anderen Freiwilligen hatte.

Woher hast du die Motivation genommen, jeden Tag so früh aufzustehen und anderthalb Stunden zum Peterhof zu fahren?

Zwei Stunden sogar. Hin und zurück. Das frage ich mich heute auch noch manchmal. Natürlich haben wir uns untereinander immer im Zug getroffen und die Zugfahrt gemeinsam gemacht. Ich glaube auch einfach aus dieser schieren Notwendigkeit. Ich wusste, dass wenn ich nicht komme, dann putzt niemand die Zähne am Morgen, dann wird die Bettpfanne nicht geleert werden, dann werden sie nicht umgezogen werden, dann geht niemand mit ihnen spazieren. Und das zu wissen, wie es aussieht, wenn ich nicht da bin, ist natürlich eine große Motivation. Aber wir hatten auch immer den Mittwoch frei, also tatsächlich nur zwei Tage gearbeitet, dann wieder frei. Dann wieder zwei Tage. Aber das war auch nötig.

Ist dir etwas besonders in Erinnerung geblieben?

Da waren so viele tolle Sachen. Wir haben immer schöne Ausflüge gemacht. Das war immer richtig toll. Und wir waren im Sommerlager. Das war natürlich der Hammer. Das war irgendwo am Strand des Finnischen Meerbusens. Auch völlig verrückt, wenn man bedenkt, dass wir im Sand gezeltet haben und es keine Rollstuhlrampen oder irgendwas gab. Aber wir haben es einfach irgendwie gemacht und es war trotzdem schön. Und sonst hatte ich eine Frau in meinem Zimmer, die blind war und mit ihr hat sich über die Zeit ganz viel Vertrauen aufgebaut. Das war sehr schön für mich. Am Anfang waren wir noch drinnen und sind über die Gänge spaziert und irgendwann sind wir zusammen rausgegangen. Das war ein sehr schönes Erlebnis, zu sehen, wie das kontinuierliche Dasein und tägliche Üben Früchte trägt.

Was war der schwierigste Moment in deinem Freiwilligendienst?

Ich habe mich richtig viel geärgert, wenn uns von den Ärzten einige Sachen verboten wurden. Oder wenn gerade die hygienischen Bedürfnisse nicht erfüllt wurden. Das war echt hart. Irgendwann wurde uns verboten die Schützlinge zu baden. Die Krankenpflegerinnen haben sie aber auch nicht gebadet. Ich glaube, weil nicht genug von ihnen da waren, weil es so um Neujahr herum war. Das war einfach so krass, weil die Schützlinge gar nicht gewaschen wurden. Das war echt anstrengend. Damit habe ich mich viel auseinandergesetzt. Ich konnte eben auch nicht richtig diskutieren. Nur böse gucken.

Wie lief es mit der russischen Sprache?

Ich glaube, es ging relativ schnell, dass ich mich mit dem Notwendigen verständigen konnte, gerade auf der Arbeit. Aber es hat mir richtig doll gefehlt oder fehlt mir immer noch, dass ich auch richtig persönliche Gespräche führen kann. Dadurch, dass bei Perspektivy immer jemand zu finden war, der für einen übersetzen kann und im Peterhof noch einige Englisch konnten, war's nicht schlimm.

Hast du Russland vermisst, als du zurück nach Deutschland gekommen bist?

Ja, doll. Das war ziemlich schwierig zurückzukommen. Ich glaube, es ging den meisten so. Auch die Menschen im Peterhof und die Gemeinschaft der Freiwilligen zurückzulassen, war schwer. Ich habe danach noch viel vom Peterhof und Sankt Petersburg geträumt.

Warst du danach wieder in Russland?

Einmal war ich wieder in Sankt Petersburg. Zwei Jahre später mit einer anderen Freiwilligen zusammen, mit Laura. Wir waren zwei Wochen da und waren im Peterhof zu Besuch. Es war auch schön zu sehen, wie viel sich in der Zeit verändert hat. Da wurde ja groß renoviert. Das war cool.

Bist du viel rumgereist in diesem Jahr? Kannst du über deine Erlebnisse erzählen?


Ich bin auf die Krim mit Manu gefahren. Das war toll. Da waren wir zwei Wochen und haben an irgendeinem Strand gezeltet. Das war ziemlich aufregend alles. Danach bin ich nach Moskau getrampt und auf einem Festival mit Fabian gewesen. Das war auch richtig schön. Das hat uns auch wieder irgendjemand erzählt, dass es das gibt und dann sind wir losgezogen. Das war, glaube ich, so ein Hippie-Rock-Festival. Und ich war in Archangelsk mit anderen Freiwilligen auch. Das war schön. Ah, nein. Jetzt weiß ich, was das allerschönste war. Ich war im Uralgebirge. Das war auch mit anderen Freiwilligen. Ilona hat es vor allem auch mitorganisiert. Da sind wir mit einem Katamaran gefahren. Das war so richtig abgefahren. Da waren wir so richtig weit draußen in der Wildnis mit unseren Katamaranen. Und wir sind immer gefahren und haben dann irgendwo Lager aufgeschlagen und Feuer gemacht und über dem Feuer gekocht. Es waren noch mehrere andere Gruppen mit dabei, also nicht nur die Leute aus dem Peterhof und es war richtig cool. Und da wäre ich auch nie hingekommen, wenn es die russischen Freiwilligen nicht organisiert hätten.

Gab es einige Sachen aus Deutschland, die du vermisst hast, als du in Sankt Petersburg warst?


Den Käse habe ich wohl vermisst. Und bestimmt auch andere Sachen, aber ich weiß es gerade gar nicht mehr. Wir hatten auf jeden Fall immer so einige Sachen, wenn jemand Besuch bekommen hat, dann bestellte ich etwas bei demjenigen. Aber ich weiß nicht mehr, was es war. Ach, ich glaube, das waren vegetarische Brotaufstriche zum Beispiel. Aber, ich glaube, die kann man mittlerweile auch da kaufen.

Und was machst du zur Zeit? Machst du jetzt auch etwas mit Menschen mit Behinderungen oder arbeitest in einem anderen sozialen Bereich?

Ich habe Soziale Arbeit studiert. Und arbeite im Moment mit Jugendlichen in einer Wohngruppe. Es ist also ein bisschen anders. Ansonsten lese ich immer deine schönen E-Mails mit den Neuigkeiten aus dem Peterhof.

Was kannst du neuen Freiwilligen empfehlen? Vielleicht auch solchen, die noch unschlüssig sind, ob sie einen Freiwilligendienst in Russland machen wollen oder nicht? Wie würdest du sie motivieren?

Russisch zu lernen ist eine riesige Bereicherung. Auch danach ist es immer wieder so gewesen. Einfach fürs Reisen, aber auch in Berlin habe ich es so oft genutzt. Alleine dafür lohnt es sich auf jeden Fall. Sankt Petersburg ist eine super spannende Stadt, die man auf diese Art und Weise sonst nicht so leicht erleben kann. Stürzt euch rein. Man kann auch immer wieder nach Hause kommen, wenn es nicht klappt.

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