Interview mit Marion Rauch

Wer bist du, wann hast du deinen Freiwilligen-Dienst absolviert, welches Projekt hast du unterstützt?

Ich bin Marion Rauch, ich war Freiwillige von März 2010 bis August 2013 in Pawlowsk im Kinderheim bzw. ich war die ersten eineinhalb Jahre als Freiwillige und dann als Pädagogin angestellt.

Warum hast du dich entschieden, nach St. Petersburg zu gehen und dort deinen Freiwilligendienst zu machen?


Das ist eine längere Geschichte, ich hatte in der Schule schon Russisch. Ich war auch im Schüleraustausch schon in St. Petersburg, daher war es irgendwie ein bisschen naheliegender. Aber ich habe dann zuerst studiert und bin anschließend erst nach St. Petersburg gegangen. In meinem letzten Jahr im Studium habe ich einen Fernsehbericht gesehen über Perspektiven, wo Margarete in einer Talkshow war, die ich gesehen hatte. Außerdem habe ich noch von einem Bekannten gehört, der auch jemanden kannte, der schon bei Perspektiven ein FSJ gemacht hatte und dann hab ich mal im Internet geschaut und fand es total toll, was Perspektiven macht. Und dann hab ich gedacht: Da bewerbe ich mich einfach mal. Wenn man später erstmal arbeitet, dann macht man sowas meistens nicht mehr.

Aber dein Freiwilligendienst war ein bisschen länger als ein normaler Freiwilligendienst und dann warst du auch als Pädagogin dort. Warum hast du dich entschieden weiter dort zu bleiben und nicht nur ein Jahr?

Ich hab mich ursprünglich nur für ein Jahr beworben, ich war ja direkt über Perspektiven als Freiwillige in Sankt Petersburg und nicht über den ICE oder ähnliches, weil ich davor schon ein FSJ in Deutschland gemacht hatte. Ich hab mich also für ein Jahr beworben, von März 2010 bis Februar 2011. Dann habe ich aber relativ schnell festgestellt: Jetzt kann ich gerade einigermaßen die Sprache, ich verstehe gerade alles und meine Gruppe hätte sonst auch keinen anderen Freiwilligen mehr bekommen bis September, weil die Neuen alle erst im September gekommen wären und dann hab ich relativ schnell gesagt – okay, dann mache ich das halbe Jahr noch fertig und bleibe die eineinhalb Jahre. Anschließend hat mir Mascha Ostrowskaja damals angeboten, ob ich nicht als Pädagogin bleiben möchte. Dann habe ich noch zweimal um ein Jahr verlängert.

War es schwer zurück nach Deutschland umzuziehen nach drei Jahren, die du in Russland gelebt hast?

Ich kam hier an und wollte nicht lange daheim rumsitzen und habe mir dann direkt einen Job gesucht und habe dann schnell wieder gearbeitet und dann, finde ich, gewöhnt man sich auch schnell wieder um. Aber am Anfang weiß ich vor allem noch, dass ich ziemlich oft genervt war von Leuten, die sich ständig über alles beschwert haben. Wie schlimm hier alles in Deutschland sei, die unzufrieden waren, sich über die kleinsten Dinge aufgeregt haben und ständig eifersüchtig auf andere waren, und ich dachte mir immer: „Ihr habt es hier doch total gut, also ihr könnt euch doch überhaupt nicht beschweren." Das waren oft meine Gedanken am Anfang. Also ich kam schon schnell an, aber ich habe manchmal die Leute um mich herum nicht so ganz verstanden, die so unzufrieden waren.

Arbeitest du jetzt auch mit Menschen mit Behinderungen oder ist das etwas anderes, was du jetzt in Deutschland machst?

Ich habe Heilpädagogik studiert, schon bevor ich über Perspektiven nach Russland ging, und hab auch mein FSJ schon im Behindertenbereich gemacht. Und ich arbeite auch jetzt in einer Einrichtungen für beatmete Kinder, die unterschiedlich schwere Beeinträchtigungen haben.

Kannst du dich erinnern an deinen ersten Tag in St. Petersburg?

An den ersten Tagen in St. Petersburg saß ich noch daheim, weil ich ja nicht arbeiten durfte, weil ich noch nicht alle medizinischen Untersuchungen hatte, die fürs Heim vorgeschrieben waren, und dann bin ich allein durch St. Petersburg gelaufen mit riesen Schneebergen Anfang März. St. Petersburg ist eine Riesenstadt, alles neu und ich war schon erst mal ein bisschen überwältigt. Dann dieser viele Schnee überall. Es war schon was ganz anderes. In den ersten Tage bin ich aber auch teilweise mit meiner Mitbewohnerin nach Peterhof ins Erwachsenenwohnheim mitgefahren, weil ich da auch ohne Untersuchungen rein durfte.
Die ersten Eindrücke von Pawlowsk – wahrscheinlich der Geruch. Der ist auf jeden Fall immer sehr eindrücklich, wenn man ins Kinderheim kommt. Aber ich wurde total nett empfangen. Die Freiwilligen-Koordinatorin hat mir gleich alles gezeigt. Es war mit der Sprache ziemlich schwierig am Anfang. Man hat mich dann auf die Gruppe gebracht und da haben alle nur russisch mit mir geredet und ich stand da ohne Plan. Ich konnte nicht viel mehr sagen außer „Hallo ich heiße Marion", „Das Wetter ist schön". Die haben mir dann auf Russisch alles Mögliche erklärt und ich war erst mal ein bisschen überfordert. Ich glaube, mein Vorteil war, dass ich davor auch schon mit behinderten Kindern gearbeitet habe. Darum hat mir das Arbeiten an sich mit den Kindern kein Problem bereitet. Ich habe da auch schnell einen Zugang gefunden oder hatte Ideen, was ich machen konnte. Aber mit dem Personal war's halt erst mal schwer, weil ich einfach nichts verstanden habe und die mich nicht verstanden haben und wir dann versucht haben uns mit Händen und Füßen irgendwie zu verständigen.

Wie lange hast du gebraucht, um deine Sprachkenntnisse zu verbessern?

Ich weiß, dass ich mich nach etwa drei Monaten im Heim halbwegs verständigen konnte, also da kannte ich halt die wichtigsten Begriffe, die ich gebraucht habe: Ob ich mit einem Kind ins Spielzimmer darf oder ob ich mit dem Kind spazieren gehen darf, ob ich den und den füttern soll, ob ich den und den in den Rollstuhl setzen soll. Ich glaub so nach einem halben Jahr konnte ich mich auch sonst einigermaßen unterhalten. Durch mein Schulrussisch ging das dann doch relativ schnell.

Kannst du jetzt noch Russisch?

Ich verstehe so gut wie alles, aber ich spreche kaum mehr. Es geht schon, aber ich brauche immer wieder eine Weile, bis ich wieder drin bin.

Sprichst du im Alltag mit jemandem Russisch?

Sprechen kaum, ich schreibe mit einigen Bekannten von damals noch über die sozialen Medien hin und her.

Hast du noch Kontakt mit jemandem aus St. Petersburg oder aus dem Kinderheim, weißt du, was passiert ist mit den Kindern, mit denen du gearbeitet hast?

Ich hab schon noch Kontakte. Tatsächlich eher zu einigen der russischen Freiwilligen, die mit mir im Kinderheim waren, zu einer Krankenschwester und sonst zu Leuten, die ich außerhalb von Perspektivy in der Zeit kennengelernt habe. Zu deutschen Freiwilligen eigentlich tatsächlich nicht mehr.
Ich war seit ich wieder in Deutschland bin noch 3x zu Besuch in St. Petersburg und jedes mal auch im Kinderheim. Von den Kindern in meiner Gruppe her ist es aber tatsächlich leider so, dass, glaube ich, nur noch zwei leben. Alle anderen sind in den letzten Jahren gestorben.

Was war das Wichtige, das du gelernt hast in dieser Zeit in Russland?

Ich bin wesentlich dankbarer jetzt, als ich das damals war. Ich glaube, ich habe gelernt, dass man auch mit einem niedrigeren Lebensstandard total gut leben kann und glücklich sein kann. Ansonsten… Russisch hab ich auf jeden Fall gelernt und ich glaube, ich bin offener geworden anderen gegenüber und habe vielleicht weniger Vorurteile gegenüber Menschen aus anderen Ländern.

Was war am schwierigsten in dieser Zeit für dich in Russland?

Das erste halbe Jahr. Am Anfang einfach die ganzen Konflikte mit den Sanitarkas. Im Nachhinein kann ich vieles besser verstehen, ich möchte überhaupt niemanden verurteilen, gar nicht, aber es gab am Anfang öfters schwierige Situationen. Aber nachdem ich sie dann sprachlich besser verstanden habe und sie mich besser verstanden haben, hat sich da ganz vieles geklärt und am Ende bin ich mit den meisten gut klar gekommen. Natürlich gab es welche, mit denen man sich besser verstanden hat und mit denen man sich weniger verstanden hat, aber das ist ja völlig normal.

Wo hast du Motivation gefunden ?

Ich wusste ja, dass das, was ich mache, sinnvoll ist und ich hatte Spaß an der Arbeit mit den Kindern. Und den Großteil des Tages hatte ich ja Kontakt mit den Kindern und nicht mit den Heimmitarbeitern und, wie gesagt, es gab halt ein paar, mit denen es anfangs schwieriger war, aber es gab ja auch viele, mit denen es total unkompliziert war, die sich Mühe gegeben haben. Natürlich war es am Anfang mit der Verständigung schwieriger. Aber die Arbeit an sich hat immer Spaß gemacht. Und auch der Kontakt zu den anderen Pädagogen und Freiwilligen hat mich immer wieder motiviert

Was war deine schönste Erinnerung ?

Als Kolja, also ein Kind aus unserer Gruppe, das erste Mal wirklich gelacht hat. Er war schwerstmehrfach behindert. Er konnte sich selber kaum bewegen und es kam von ihm wenig Reaktion. Ich habe mit ihm wirklich jeden Tag dann was gemacht und habe ihn jeden Tag auf den Arm genommen und irgendwann hat er mich das erste mal angelächelt und das war total schön.

Stehst du noch mit den Perspektiven e.V. im Kontakt?

Ich bin Mitglied im Verein, und versuche auch jedes Jahr, wenn es möglich ist, zur Jahreshauptversammlung zu fahren.

Gut dann danke dir sehr für das Interview!

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